Spex (Deutsche)

DIE EFFEKTE DER EFFEKTE

 

Der Gitarrist RAFAEL TORAL baut Hallsaeulen in der Wueste, die an Rock grenzt.

 

1970 sitzt der amerikanische Komponist Alvin Lucier in seiner Wohnung und spricht in ein Aufnahmegerät: daß er in einem Raum sitze und seine Stimme aufnehme, daß diese Aufnahme abgespielt und anschließend aufgenommen und das Resultat, die 2. Generation der Aufnahme, wieder abgespielt und wieder aufgenommen werde etc.. Bis schließlich die widerhallenden Frequenzen des Raumes sich selbst so verstärkten, daß die Stimme zerfallen werde, untergehend und aufgelöst in einem gleißenden, bizarren Flirren und Surren. Mit dieser einfachen aber trickreichen Versuchsanordnung demonstrierte Lucier, wie ein geschlossenes System in einen entropischen Zustand gerät.

 

25 Jahre später wendet sie der 31jährige portugiesische Gitarrist Rafael Toral auf Rockmusik an: “I wanted to make an ambient piece that sounded like a thousand rock gigs reverberating from a distant hall.” Das Stück heißt “wave field”, ist Alvin Lucier gewidmet und mit der Bedienungsanleitung “play very soft or very loud” versehen. Was natürlich ziemlich kokett ist und Assoziationen an Brian Enos interessant-uninteressante Ambientmusik hervorruft. Aber es funktioniert! Was eben noch als delikater, klanglicher Duftzerstäuber im Hintergrund säuselt, türmt sich bei voller Lautstärke zu einer mannshohen Flutwelle aus warmem Schlamm auf, die langsam über dir zusammenschwappt. Für gewöhnlich nennt man so etwas drone music. Ein zwar hinreichend begutachtetes Genre, das dabei seitens der Rezeption niemals ganz in den Griff bekommen wurde. Das fängt schon bei den Musikern an, die so unterschiedlich wie Phill Niblock und Sonic Youth, Pauline Oliveros und Spacmen 3, Tony Conrad und My Bloody Valentine sind. Und führt schnurstracks zu dem Problem, welche Haltung man den Drones gegenüber einnehmen soll. Ist das nun endlos(langweilig)e Klangesoterik? Oder purer, weil sich auf die Eigenschaften der Sounds beschränkender Materialismus? Rafael Toral bringt die differente Herangehensweise an die drone music auf den Punkt und gelangt zu einer Klarheit, die um so paradoxer wirkt, je näher man hinschaut. Er spricht z.B. davon, daß es ihm um die Essenzen von Rock gehe, also Energie, Elektrizität und Intensität. Ganz abgesehen davon, daß bezweifelt werden darf, ob diese Begriffe jemals im Zentrum von Rock standen (und nicht viel eher Mittel zum Zweck, ein Begehren zu formulieren, bedeuteten), besteht Torals Musik eben genau nicht aus (diesen) Essenzen. Die Drones ergeben sich alleine aus mannigfaltigen Klangüberlagerungen, hervorgerufen durch Erschütterungen des Gitarrenkorpus’, aus komplexen Feedbacks, die sich in sich verändern und immer neue und dennoch nur minimal verschiedene Konfigurationen von grummeligen Geräuschen und glasklaren Sounds hervorbringen. Seine Arbeit “liveloop” besteht aus miteinander verschalteten Gitarreneffektgeräten, deren Grundrauschen sich gegenseitig verstärken, durchdringen und verschlucken. Wie bei Lucier artikulieren sich unabhängig von der Einflußnahme des Komponisten Effekte des Raumes (der Maschinen) und entwickeln ihr Eigenleben. Wo ist hier, bitte schön, die Referenz, das Wesen, daß die Elemente bestimmt und ihre Anordnung dirigiert? Intensität ist ein Netzwerk. Akzeptiert man die Annahme, daß Postrock nicht an Rock sondern an dessen Effekten interessiert ist, dann beschäftigt sich Toral mit den Effekten der Effekte.

 

 

 

Andererseits ist es auch besonders ausgeschlafen, wenn er im Rückgriff auf jene Mittel, wie Lärm, also klangliche Verzerrung, Unpräzision, den warmen Marshallverstärker-Matschsound, zurückgreift und sie für voll nimmt. Der Nachhall der tausend Rockkonzerte, den er herausfiltert und bündelt, verweist auch auf die realen Enstehungsbedingungen der Musik. Und diese Enstehungsbdeingungen haben einen Namen: Portugal. Das Nachbarland Spanien beherbergt immerhin die bedeutendste Messe für elektronische Musik (Frankreich ist sowieso spitze). Aber Portugal… Rock, die großen Ströme experimenteller Popmusik, selbst die Avantgarde kamen dort bloß als Hall an, abgeschnitten von den Diskursen, die diese Musiken repräsentieren. Ein durchaus unangenehmer Zustand: “Portugal kills creative musicians”, so Toral, aber einer, den man trotzdem nicht unterschätzen sollte. Wenn Toral davon spricht, daß Portugal, was interessante (Pop) Musik betrifft, eine Wüste sei, muß man das auch als Leerraum verstehen, in dem er seine Eigendynamik der Restgeräuschverwertung überhaupt erst plazieren konnte.

 

Das Abseits als Bedingung der Möglichkeit kreativer Musik. Sieht man sich seine Biographie an, so merkt man, daß der Lissabonner, dessen eigenes Tonstudio in der gleichen Straße liegt, auf der er als kleines Kind gespielt hat, alle Zeit der Welt hatte, die Schichten und Ablagerungen seiner Klangschöpfungen zu beobachten: die Jugend mit freier Rockmusik verbracht, dann akademische Ausbildung, Kompositionsprojekte in der Neuen Musik, Installationen in Galerien, Erfahrungen sammeln in der Improvisierten Musik. Alles unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Dabei wäre es vermutlich geblieben, wenn die Ver-Wüst-ung, die Erosion des musikalischen Raumes in den Metropolen nicht ebenfalls fortgeschritten wäre. Ein Beispiel: das 1988 erschienene Obskuro-Album “Plux Quba” von Torals Landsmann Nuno Canavarro, das jener für Jim O’Rourkes Moikai-Label just remastert hat, war im Prinzip inexistent – heute, so hört man, wird es u.a. als Inspirationsquelle für Microstoria gefeiert.

 

Längst hat sich an den Rändern von Pop eine Avantgarde herauskristallisiert, die die Stilistiken und Geschichten von Cage, Minimalismus, Free Jazz bishin zu Techno eingesogen hat. Wichtig ist an dieser Stelle ihre Positionierung, die im Grunde den Begriff der Avantgarde, das Voranschreitende, obsolet werden läßt, weil sie sich neben oder zwischen (von mir aus auch: hinter) den beherrschenden Strömen populärer Musik befindet, horizontal operiert.

 

Daß Toral aus seiner kleinen Welt herauskommt und Leute wie O’Rourke, David Toop, John Zorn und Lee Ranaldo zu seinen Freunden und Förderen zählt, hängt damit zusammen, daß sich diese Szene als Szene, wenn auch als durchlässige und instabile, zu verstehen beginnt. Ihr Impetus besteht weniger aus einer Popverdrossenheit als aus der Fähigkeit und der Neugier andere Perspektiven auf einen bekannten Gegenstand zu konstruieren. Also Rock nur noch als Abdruck, als Spur, als nachträglich konstruierte Intensität (noch mal Toral: “I aimed at an ambient record charged with the resonance and the dirt and noise of rock music.”) wahrzunehmen und damit gleichzeitig dem eigenen trostlosen Ort etwas Produktives abzuringen. Schließlich macht es keinen Sinn, im besagten Abseits das Leben zu simulieren und Gassenhauer nachzuspielen. Der Raum, in dem Lucier saß, ist jedenfalls größer geworden.


by Felix Klopotek, December 1998 (Köln, Deutschland)