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Vom Kosmos und in anderen Räumen
Rafael Toral, portugiesischer Musiker und Künstler veröffentlicht im September auf dem Berliner Label Staubgold sein musikalisches Manifest »Space«

Der Name »Space« bezieht sich auf Torals aktuelles Arbeitsfeld, das so genannte »Space program«. Unter diesem Label fasst Toral seine Arbeit im Bereich der Fusionierung von zeitgenössischer elektronischer Musik und Jazz, freier Improvisation und John Cages Konzept der Stille zusammen. Dies geschieht als Solomusiker, in Kollaborationen oder sogar mit ganzen Orchestern, im Studio und mit besonderem Fokus auf Live-Performances. Geplant ist eine Reihe von zwei parallelen Veröffentlichungsserien: zum einen »Space Elements«, hier scheint es vornehmlich um die Sounds eines bestimmten Instruments zu gehen, zum anderen die »Solo Series«, das die eigenen Konzerte an verschiedensten Instrumenten dokumentieren soll. Das Album »Space« schließt sich gewollt keiner der beiden Serien an, sondern kann, oder soll vielmehr, als die allem übergeordnete Veröffentlichung des gesamten »Space program« verstanden werden.

Space Jazz
In den 1990er Jahren wurde Toral als einer der talentiertesten und innovativsten Gitarristen bezeichnet. Er spielte zusammen mit Jim O’Rourke, John Zorn, Lucier, Parker, David Toop, Sonic Youth, Christian Fennesz und vielen mehr. Im Jahre 2000, als gerade das Album »Violence of Discovery and Calm of Acceptance« erschien, erreichte Rafael Toral einen Punkt in seiner musikalischen Laufbahn, an dem es sich beängstigend komfortabel anfühlte. Die Zukunft seiner Musik und seines Denkens würde wohl von nun an nach einem bestimmten Schema oder einer Formel funktionieren, was Toral eigentlich immer verhindern wollte. Aufgrund dieser Erkenntnis beschloss er einen Neuanfang. Von nun an beschäftigte er sich mit dem Musikgenre, das ihm bis zu diesem Zeitpunkt am fremdesten erschienen war: Jazz. In den persönlichen Anmerkungen zum Album »Space« schreibt Toral, dass im Mittelpunkt seines »Space program« das Performen und Spielen an und mit zum Teil selbst gebauten oder manipulierten elektronischen Geräten und Instrumenten steht. Dabei wird aus der imaginierten Tradition einer elektronischen Jazzkultur heraus eine Mischung aus elektronischer und elektro-akustischer Musik der 1950er und 1960er Jahre mit modernen live Electronics erzeugt, unterbrochen von langen Passagen der Stille. Was sich daraus entwickelt, lässt sich wohl am besten mit dem Begriff Space Jazz beschreiben. Das Album pendelt zwischen akademischer Strenge, präzise platzierten Tönen und tief in den Raum verschobenen Flächen sowie Free-Jazz-Improvisationen. Aus diesen an verschiedenen elektronischen Klangquellen erzeugten Improvisationen ist der Sound einer Art ›Frikkelbox‹ am deutlichsten zu identifizieren. In einem klar abgesteckten Rahmen wächst ein zwischen dem selbstverlorenen Tun und dem bewussten Spiel alternierendes Spannungsfeld heran.

Torals Kosmos
Rafael Toral spielt mit den Erwartungen des Zuhörers. Ein Rhythmus wird lediglich angedeutet. Die Dinge lösen sich auf, noch bevor sie zur vollen Entfaltung gelangen konnten, verschwinden hinter und im freien Spiel mit den schwerlich identifizierbaren Klangerzeugern. Kleine Raffinessen treffen auf diffuse Tonverwehungen, Klangbündel werden an lange, stille Flächen gelegt. »Space« ist ein minimales Album, das nach dem Maximum an musikalischem Ausdruck sucht. Es quietscht und fiepst, es kommuniziert, es spricht, allerdings nicht immer mit dem Zuhörer. Toral schafft sich seinen eigenen Kosmos, und uns steht es frei, ihm zu folgen. Stephane Leonard