Jazzdimensions

Der Portugiese Rafael Toral bezeichnet seine Musik als “post-free jazz electronic music”, was zwar ein verwirrender Begriff ist, aber Sinn macht, wenn man sich sein neues Album “Space Elements Vol. II” anhört. “Der Körper spielt die Musik,” ist sein Credo.

 


Rafael Toral – “Space Elements Vol. II”

Toral denkt seine Musik als einen Prozess, bei dem vom Körper Töne ausgehen, die den Raum füllen und dieser mit Klängen gefüllte Raum auf den Körper zurück wirkt. Für moderne Technologie ist hier kein Platz. In diesem Sinn wurden alle Töne auf diesem Album im Studio gespielt und aufgenommen, damit Klang, Raum und Ausdehnung, also der gesamte akustisch-musikalische Prozess, beim Hören wahrgenommen werden kann.

 

Ursprünglich war Toral Gitarrist, der in den neunziger Jahren eine überragende Karriere hatte und mit Musikern wie Jim O’Rourke, John Zorn, Alvin Lucier, Jeff Parker, David Toop, Sonic Youth oder Christian Fennesz zusammenarbeitete. Dann entwickelte Toral allerdings erhebliche Widerstände gegen seinen Status als “anspruchsvoller Rockmusiker” und hängte seine Gitarre an den Nagel, um einen grundsätzlich neuen Ansatz für sich zu suchen: aus elektronischen Teilen baute er neue Klangerzeuger zusammen, die auf Körperbewegungen reagieren und kombinierte diese mit akustischen Instrumenten seiner Wahl. Seit dem Jahr 2000 prägt diese Mischung die klangliche Freiheit seiner Einspielungen.

 

Toral ist Klang- und Raumforscher, der mit Stille und Nicht-Stille arbeitet, ähnlich wie dies bereits vor einigen Jahrzehnten John Cage tat. “Ich halte meine Musik für völlig losgelöst von der Geschichte der akademischen elektronischen Musik, die stets auf Klangfarben-forschung oder Strategien der Studiokomposition beruhte und nach einer abgeschlossenen Form in Gestalt von Aufnahmen abzielte.” Er hingegen sehe sich mehr in der Nähe der Live-Elektronik. “In meinem Ansatz geht es vor allem um Performance anhand von disziplinierten Entscheidungen. Diese Entwicklung wurde in der elektronischen Musik jedoch nie verfolgt.”

 

Im Post-Free Jazz geht es um den Verzicht auf regelmäßige Rhythmen, Themen oder Akkordfolgen. Die akustischen und elektronischen Klänge auf “Space Elements Vol. II” breiten sich frei im Raum aus, bleiben aber auch für längere Zeit in ihm schweben und schwingen, als würden sie sich selber belauschen.

 

In einem klar abgesteckten Raum pendelt die Musik von Rafael Toral zwischen selbst verlorenem Tun und bewusstem Spiel. Es ist “essentielle Musik”, wie er sie auch nennt, die sich an den Klängen der prähistorischen Zeit orientiert. Hochgeistige primitive Musik, verwirrend und ergreifend.

 

Michael Freerix, June 2010